Bei der Begrüßung zur ersten Ausgabe des „DPE Forum“ standen zunächst zwei Personen auf der Bühne in der Passauer Redoute: Graduiertenkollegs-Sprecher Prof. Dr. Jan Krämer und sein Stellvertreter Prof. Dr. Andreas König. Am Ende waren es 28 Personen. Prof. Dr. Krämer hatte alle auf die Bühne geholt – von Doktorandinnen und Doktoranden über Professorinnen und Professoren bis hin zu Gastforschenden – um seine Aussage zu untermauern, dass es sich bei dem Passauer DFG-Graduiertenkolleg 2720 „Digital Platform Ecosystem“, kurz DPE, um die „weltweit größte Forschungsgruppe zum Thema digitale Plattformen“ handele.
Eben diese Forschungsgruppe veranstaltete nun ihre erste Konferenz, das „DPE Forum“. Stolz und Freude waren den Sprechern der Gruppe anzusehen: „Es ist unsere Flaggschiff-Konferenz, um Forschung zum Thema Plattform-Ökonomie zu feiern“, erklärte Prof. Dr. Krämer. Der Vizepräsident der Universität Passau, Prof. Dr. Jan Schumann, der ebenfalls zum Team des Graduiertenkollegs gehört, sprach von der derzeit größten Forschungsinitiative an der Universität Passau.
Das Thema der ersten Ausgabe, die am 4. und 5. Juni an der Universität Passau stattfand, lautete: „Bytes and Behemoths – Understanding Power in Digital Platform Ecosystems“. Es ging um die Macht der digitalen Plattformen und kluge Regulierungsmöglichkeiten. Für die Keynotes konnte das Team renommierte Experten gewinnen.
Der „Brüssel-Effekt“ in den Köpfen
Martin Selmayr, Wissenschaftlicher Direktor des Centrums für Europarecht an der Universität Passau und derzeit Gastprofessor für Europarecht an der Universität Wien, gab Einblicke hinter die Kulissen um die Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die in seine Zeit als Kabinettchef des ehemaligen EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker fielen. Die DSGVO habe weltweit Standards gesetzt, anders als die vorhergehende europäische Datenschutzrichtlinie aus dem Jahr 1995, bei der es den Mitgliedsländern überlassen blieb, diese in nationales Recht umzusetzen. „Niemand kannte diese Richtlinie, aber alle kennen die DSGVO“, sagte Selmayr. Ein Grund sei das Marktortprinzip in Artikel 3, wonach sich auch Firmen mit Sitz außerhalb Europas an diese Regeln zu halten hätten, wenn diese die Daten Europäischer Bürgerinnen und Bürger verarbeiteten. Dieses Prinzip habe noch während der Verhandlungen zu einem Protest-Anruf aus dem Weißen Haus geführt. Die Reaktion Junckers: „Scheint so, als würden wir etwas richtig machen.“ Inzwischen habe Artikel 3 zum „Brüssel-Effekt“ geführt, also dazu, dass die DSGVO-Regeln auch anderswo in nationales Recht übernommen wurden, darunter in einigen US-Bundesstaaten.
Ob die jüngst von den Mitgliedstaaten verabschiedete KI-Verordnung ähnliche Maßstäbe setzen werde, wollte jemand aus dem Publikum wissen. Das bleibe abzuwarten, antwortete Selmayr. Die Basis für einen starken „Brüssel-Effekt“ sei aber gegeben. Denn auch die KI-Verordnung enthalte das Marktortprinzip. Interessant fand Selmayr, dass das Weiße Haus erst vor wenigen Monaten ein Dekret zum Umgang mit künstlicher Intelligenz erlassen hat, fast so, als wolle es den Europäern zuvorkommen. „Zumindest in den Köpfen findet bereits ein Brüssel-Effekt statt.“
Zertifikatslösung gegen Falschinformationen
Der zweite Hauptredner kam aus den USA. Während der leidenschaftliche Europäer Selmayr auf die Möglichkeiten der Regulierung einging, stellte der US-Professor Marshall Van Alstyne das Potenzial des „Marketplace of Ideas“, des „freien Markts der Ideen“, in den Mittelpunkt seiner Keynote. Seine These: Um gegen Falschinformationen, Deepfakes und Propaganda vorzugehen, brauche es keine staatlichen Eingriffe. Der Markt könne sich selbst bereinigen, wenn er denn entsprechend korrigiert würde. „Ich glaube, das wäre sogar die überlegenere Lösung und könnte bessere Plattform-Ökosysteme schaffen“, so Prof. Dr. Van Alstyne.
Bisher sei es so, dass polarisierende Nachrichten und Hetze in den sozialen Medien mit Reichweite belohnt würden und damit wertvoller seien als weniger aufregende Fakten. Er verglich die Situation mit Umweltverschmutzung: Hier funktioniere der Markt nicht, weil Verursacher nicht für die Kosten aufkommen müssten. Bei CO2-Emissionen gebe es dafür inzwischen eine Zertifikatslösung. Ähnliches sei auch bei Falschinformationen denkbar. Das heißt, derjenige, der sie verbreitet, muss zahlen. Um zu illustrieren, dass dies funktionieren könnte, zeigte Van Alstyne mehrere experimentelle Studien, die er mit seinem Team durchgeführt hatte. Das Ergebnis: Müssen die Teilnehmenden für die Verbreitung von Falschinformationen kostspielige Zertifikate erwerben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich für eine weniger aufregende, aber wahre Nachricht entscheiden.
Prof. Dr. Van Alstyne, der von der Boston University an die Universität Passau kam, war für die anwesenden Nachwuchsforschenden so etwas wie der Star ihres Fachs. Denn er war einer der Begründer der Theorie zur Plattform-Ökonomie, wonach Plattform-Unternehmen grundlegend anders funktionieren. Ihr enormes Wachstum konnte er mit Hilfe von wechselseitigen Netzwerkeffekten erklären. Je stärker die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer steigt, desto attraktiver wird die Plattform für Anbieter, was wiederum mehr Nutzer anlockt, und so weiter.
Paneldiskussionen mit renommierten Forschenden aus aller Welt
Um den Zielkonflikt zwischen Regulierung und Innovation ging es auch am nächsten Tag in den Workshops und Panel-Diskussionen im IT-Zentrum an der Universität Passau. Neben Prof. Dr. Van Alstyne saßen weitere renommierte Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, aber auch von der obersten deutschen Wettbewerbsbehörde, dem Bundeskartellamt, auf der Bühne. Das „DPE Forum“ brachte Forschende aus aller Welt nach Passau. Am weitesten angereist waren Gäste aus Australien, Südkorea, den USA und Argentinien.
In den auf die Panels folgenden Workshops stand wiederum der wissenschaftliche Nachwuchs auf der Bühne: Für die Forschenden boten diese Workshops die Gelegenheit, ihr Thema zu präsentieren und mit den Größen ihres Fachbereichs zu diskutieren. Um auf dem „DPE Forum“ vortragen zu dürfen, mussten sich die Nachwuchsforschenden über einen Call for Papers, eine Ausschreibung, bewerben. Das Programm spiegelte die Themenvielfalt der Plattform-Forschung wider: von narzisstischen CEOs über Vertrauen in Kommunikation mit Avataren bis hin zu Chancen und Möglichkeiten von Plattform-Unternehmen für Länder des globalen Südens.
Ähnlich breit ist auch die Themenvielfalt am Passauer Graduiertenkolleg, an dem mittlerweile 15 Doktorandinnen und Doktoranden sowie zwei Postdocs forschen, die ebenfalls aus aller Welt nach Passau gekommen sind, um das Nachwuchsforschungsprogramm zu durchlaufen. Damit knüpft dieser Nachwuchs an eine in Passau etablierte Tradition an, die Prof. Dr. Selmayr in Anlehnung an den „Brüssel-Effekt“ als „Passau-Effekt“ beschrieb: „Die Stärke Passaus ist die Verbundenheit mit der Welt.“ Bei dem „DPE Forum“ handele es sich um eine Plattform für junge Talente. Die Veranstaltung soll künftig alle zwei Jahre stattfinden.